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Albumbesprechung Cartoon - Cartoon

Interpret: Cartoon

Titel: Cartoon

Erscheinungsjahr: 1981

Genre: Prog, Avantgarde

Bewertung: 9 von 10  (9/10)

 

Rezension/Review

Cartoon ist der Titel des Debütalbums der gleichnamigen Band. Das Album wurde Ende 1981 erstmals veröffentlicht, 1994 wurde es als Teil des Re-Release mit dem zweiten Bandalbum auf Sortie noch einmal veröffentlicht.

Die Geschichte zum Album bzw. auch zur Band ist durchaus bemerkenswert. Das Projekt Cartoon wurde 1978 von den Highschool Kollegen Scott Brazieal (Keyboards) und Mark Innocenti (Gitarre) Phoenix Arizona gegründet. Zunächst arbeiteten sie ohne Drummer, das es wohl wenige Schlagzeuger gab, die den komplexen Strukturen der Musiker folgen konnten. Schließlich fanden sie in Gary Parra einen geeigneten Drummer.

Im Mai 1979 ging das Trio in die Synchestra Studios in Arizona und nahm erste Songs auf, welche auf einen Sampler über Bands aus Arizona sollten. Allerdings entschieden sich die Macher des Albums gegen die Songs, Cartoons Ansatz war ihnen wohl zu avantgardistisch. Zwei der Songs, Flotsam und Apathy in America, sollten später auf dem Debütalbum der Band landen. An die Arbeit zu dem Album ging die Band ab 1979, 1980 war die Musik im Prinzip im Kasten. Da war aber nicht mehr genug Geld vorhanden, um das Album zu veröffenlichen.

Brazieal ging nach San Francisco, um dort zu studieren. Innocenti und Parra blieben in Phoenix und taten sich mit Craig Fry (Violine, Waldhorn) zusammen. Die drei zogen im Sommer 1981 auch nach Frisco und schlossen sich dort wieder mit Brazieal (plus Herb Diamond) zusammen. Dort erhielten sie von einem Freund soviel Geld, um das Debütalbum Ende 1981 zu veröffentlichen.

Das Album verkaufte sich zwar schlecht, aber Cartoon konnten sich einen guten Ruf in der Bay Area erspielen und schafften es sogar, ein gutes Airplay beim Sender KPFA zu bekommen. In der Folge wurde man auch in Europa auf die Band aufmerksam, was letztlich in der Auflösung Cartoons mündete. 1984 ging die Band für zwei Gigs nach Frankreich, wo ihr gesamtes Equipment gestohlen wurde. Als die Band in den USA zurück war, kam aus Frankreich noch die große Endabrechnung: sie mussten Importsteuern für ihr gestohlenes Equipment bezahlen, da dieses mittlerweile in Frankreich verkauft wurde! Harter Tobak für die Band, die sich schließlich auflöste.

Soweit dazu, nun zum Album. Brazieal und Innocenti mochten ungewöhnliche Strukturen im Grenzbereich des Avantgarde und davon erhält man auf diesem Debütalbum einen guten Eindruck, vielleicht einen noch besseren als auf dem etwas bekannteren zweiten Album. Sie spielten diese Musik in einer Phase ein, als die Nachfrage eher gering war. Mutmaßlich war das einer der Gründe für den eher geringen Erfolg. Diese komplexen bis verrückten Kompositionen mit vielen Dissonanzen war vielleicht etwas zu viel für die meisten Hörer. Die verpassten etwas, denn die Musiker durchbrechen in geradezu luftiger bis lustiger Weise immer wieder die Komplexität oder auch die Ernsthaftigkeit, welche dieser Musik oft anhaftet. Der Bandname Cartoon ist dabei ein Stück weit Programm, es gibt schräge Musik, die mit Cartoonesken musikalischen Skizzen untermalt wird.

In diesem Sinn könnten Cartoon eine gute Wahl für die sein, denen z. B. Univers Zero etwa zu "schwer" sind. Die Band eröffnet den Reigen mit dem groovigen Shark, welches einen bunten Strauß an Ideen vom Genesis Prog der Lamb-Phase über Free Jazz, Klassik mit Zitaten aus Beethovens 9. bis hin zu Electronica bietet. Die Jungs bieten einen Mix aus abgefahrenen Ideen und lassen Dissonanzen in wohlgefälligen Phrasen platzen. Ich bin begeistert. Und diese Begeisterung lässt nicht nach, sei es mit Ptomaine Poisonning mit dem Mix aus klassischem Piano und RIO, der augenzwinkernden "Klassikbearbeitung" des Bolero im Anemic Bolero, den patchworkartigen Ideen und Musique Concrete Elementen auf Flotsam , diesen Cartoonesken Einwürfen wie in Apathy in America, dem kurzen Gitarre-Synth Duett I Have No Teeth und dem abschließenden "Opus" Shredded Wheat .

Fazit Was könnte man zu so einem Album noch mehr sagen? Weniger ist oft mehr. Wobei Viel im vorliegenden Fall auch seinen Reiz haben kann. Cartoon jedenfalls schütten das Füllhorn progressiver bis avantgardistischer Ideen über dem Hörer aus. Da trifft klassischer UK Prog auf Avantgarde, Electronica-Ideen auf Jazz-Fusion, Zappaskes auf Bolero und Beethoven und so weiter und so fort. Manchmal hat diese Musik etwas durchkonstruiertes im Sinn des Math-Rock, manchmal aber eben auch avantgardistische bis chaotische Momente. Die Musiker finden dabei für meinen Geschmack genau die richtige Balance. Sie sind nicht so kühl durchkonstruiert wie andere Bands, andererseits frage ich mich nie (wie bei manchen avantgardistischen Acts), ob das noch Ernst oder doch schon Verarsche ist. Musikalisches Empfinden bleibt individuelle Geschmackssache, ich persönlich bin begeistert. Cartoon und dieses Album gehören für mich in die Kategorie Hidden Gem.


Trackliste
  1. Shark 8:16
  2. Ptomaine Poisoning 8:02
  3. Anemic Bolero 3:33
  4. Flotsam 4:01
  5. Apathy In America 5:33
  6. I Have No Teeth 1:03
  7. Shredded Wheat 11:22

Rezensent: MP